Die Hohe Landesschule als Tor zur Welt

Carl Ludwig

Carl Friedrich Wilhelm Ludwig, auch Karl Ludwig (* 29. Dezember 1816 in Witzenhausen a. d. Werra, Kurhessen; † 23. April 1895 in Leipzig) war ein deutscher Anatom und Physiologe. Er war Professor von 1849 bis 1855 an der Universität Zürich, bis 1865 am Josephinum Wien und danach bis zu seinem Tod an der Universität Leipzig. Er gilt als einer der Begründer der modernen Physiologie.

Carl Ludwigs Eltern waren Friedrich Ludwig (1781–1843), Rentmeister in Witzenhausen, später Oberrentmeister in Hanau, und Christiane Ludwig, geborene Nagel († 1853). Der Ehe entsprossen acht Kinder, darunter sechs Söhne, von denen drei namhaft geworden sind: Carl, sein älterer Bruder Rudolf (Geologe) und sein jüngerer Bruder Heinrich (Maler und Kunstgelehrter). Nach dem Umzug der Familie nach Hanau besuchte Carl dort ab 1825 die Hohe Landesschule, ein humanistisches Gymnasium, wo er 1834 die Maturitätsprüfung ablegte.

Ludwig studierte ab 1834 Medizin in Marburg. In der ersten Marburger Studentenzeit – ab 1835 war er dort Mitglied des Corps Guestphalia und 1839 einer der Stifter des Corps Hasso-Nassovia, dessen Ehrenmitglied er 1840 wurde – entlud sich der „Übermuth“ seiner fröhlichen Natur; nicht Politik war es, was ihn mit den Disziplinarbehörden in Konflikt brachte, sondern einfach Unabhängigkeitsgefühl gegenüber jeglichem Zwang. Außer seinen Studien nahm er an Fechtübungen teil, wovon ein „Schmiss“ an seiner Oberlippe Zeugnis ablegte. In Marburg wurde er Ende des Wintersemesters 1835/36 relegiert, da er sich für einen politisch verfolgten Studenten einsetzte. Von 1836 bis 1838 studierte er in Erlangen. In der anschließenden Stille der Chirurgenschule in Bamberg, auf der er die erste Zeit seiner Verbannung zubrachte, besann er sich eines Besseren; 1839 nach Marburg zurückgekehrt, widmete er sich dem Studium seiner Wissenschaft. 1839 wurde er schließlich in Marburg promoviert.

1842 habilitierte er sich in Marburg mit seiner nephrologischen Habilitationsschrift De viribus physicis secretionem urinae adjuvantibus („Beiträge zur Lehre vom Mechanismus der Harnabsonderung“), worin er auch den bei der Bildung des Harns auftretenden Antagonismus von Filtration und Rückdiffusion aufzeigte. Mit dieser Arbeit stellte er sich der damals noch vorherrschenden Vorstellung einer Vis vitalis entgegen und postulierte, dass Harn primär über die treibende Kraft des Blutdrucks als Filtrat der Nierenkörperchen entstehe und seine endgültige Zusammensetzung durch Resorption entlang der Nierentubuli erhalte. Das ist die so genannte Filtrations-Rückresorptions-Theorie, die später von Arthur Robertson Cushny weiterentwickelt wurde.

Durch Vermittlung von Franz Ludwig Fick, dem älteren Bruder von Adolf Fick, erhielt er eine Anstellung als 2. Prosektor am Anatomischen Institut der Universität Marburg. Nachdem Franz Ludwig Fick dieses Institut übernommen hatte, wurde Carl Ludwig 1. Prosektor und 1846 Extraordinarius für Vergleichende Anatomie.

Ludwig war zudem Assistent des Physiologen Hermann Nasse und beschäftigte sich als solcher theoretisch mit der Tierheilkunde.

1846 publizierte er das Modell des ersten Blutdruck-Kurvenschreibers (Kymograph) und nannte es Kymographion. Dieses Messgerät für Untersuchungen auf dem Gebiet der Kreislaufphysiologie und der Phonetik übertrug die wellenförmigen Linien auf einen sich drehenden Zylinder. Damit konnte anhand der Kurven, die durch Messungen des Karotis- und Pleuradrucks bei Hunden und Pferden aufgezeichnet wurden, unter anderem gezeigt werden, dass Systole und Ausatmung den Karotisdruck erhöhen, während Diastole und Einatmung ihn senken.

Durch diese Erfindung wurde Ludwig in breiten naturwissenschaftlichen Kreisen bekannt.

1848 geriet auch er in den Strudel der politischen Bewegung; er war mit Gildemeister, Knies und Robert Wilhelm Bunsen in den Ausschuss des von Heinrich von Sybel in Marburg gegründeten liberalen Vaterlandsvereins gewählt worden und hat im Frühjahr 1848 sogar eine Zeit lang die Redaktion des „Neuen Verfassungsfreundes“ übernommen. So entschieden abhold auch der Marburger Liberalismus allem radikalen Gebaren blieb, in den Augen der hereinbrechenden Reaktion wurde er dennoch als demokratisch verdächtigt, und Ludwig begrüßte daher 1849 den Ruf an die ab 1833 von deutschen Professoren getragene Universität Zürich als ordentlicher Professor der Anatomie und Physiologie als einen Ausweg ins Freie.

1855 verließ er das nur bescheiden ausgestattete Institut in Zürich, nachdem er als ordentlicher Professor der Physiologie und Zoologie an die Medizinisch-Chirurgische Militärakademie (Josephinum) in Wien berufen worden war. In Wien war sein Freund Ernst Brücke, mit dem er insbesondere auf dem Gebiet der Tierphysiologie zusammenarbeitete, seit 1849 am Physiologischen Institut der Universität tätig. In der Tierheilkunde ausgebildet und als Vorsitzender des Leipziger Tierschutzvereins setzte Ludwig durch, dass Vivisektionen nur noch an Versuchstieren in Narkose durchgeführt werden durften. Während seiner 10-jährigen Tätigkeit am „Josephinum“ hat Carl Ludwig unter Mitwirkung von Iwan Michailowitsch Setschenow aus Odessa die Sauerstoff/Kohlendioxid-Blutgaspumpe erfunden, welche die Messung der Partialdrücke der Atemgase ermöglicht, und die Grundvorgänge beim Austausch der Atemgase aufgeklärt, die Lymphbildung und -bewegung erforscht und das medulläre Vasomotorenzentrum entdeckt. Bereits in dieser Zeit hatte er sehr viele ausländische Schüler, vor allem aus Russland. Neben seinen Aktivitäten in der Physiologie betätigte er sich auch in der Physikalischen Chemie. Er veröffentlichte 1856 die erste Entdeckung der Thermodiffusion, des später nach ihm und Charles Soret (1854–1904) benannten Ludwig-Soret-Effekts.

1868 entwickelte er die Stromuhr zur Messung der Stärke des Blutstroms, insbesondere zur Bestimmung der mittleren Strömungsstärke in größeren Arterien und Venen sowie auch des Sekundenvolumens (unter anderem zur tierexperimentellen Messung des Herzkammervolumens mittels der Blutgeschwindgkeit in der Aorta). Carl Ludwig war somit einer der Wegbereiter der Bestimmung des Herzzeitvolumens.

Zur Bestimmung der mit Volumenänderungen einhergehenden Flussgröße hat Ludwig mit dem Institutstechniker Baltzar das Plethysmographion (griechisch πληθυσμογράφιον), einen Plethysmographen entwickelt.

Am 1. Mai 1865 wurde Ludwig, dessen Lehrbuch der Physiologie des Menschen inzwischen in 2. Auflage erschienen und zum Standardwerk der experimentell ausgerichteten Physiologie geworden war, als Nachfolger von Ernst Heinrich Weber, dem die Anatomie überlassen wurde, an die Universität Leipzig berufen und wurde dort erster Ordinarius für Physiologie. Hier war er 30 Jahre lang, bis zu seinem Tode 1895, tätig und forschte über Kreislauf, Blutgase, Sekretion und Nervensystem.

  • Ehrendoktor der Philosophischen Fakultät der Universität Leipzig
  • Königlich sächsischer Geheimer Rath
  • Comthur I. Klasse des Königlich sächsischen Albrechtsordens mit dem Stern
  • Comthur 2. Klasse des Königlich sächsischen Verdienstordens
  • Ritter des Königlich preußischen Ordens Pour le mérite für Wissenschaften und Künste
  • 1867 Wahl zum Mitglied der Leopoldina
  • 1874 Ehrenmitglied der Kaiserlichen Universität Moskau
  • 1876 Cothenius-Medaille der Leopoldina
  • 1876 Ehrenmitglied (Honorary Fellow) der Royal Society of Edinburgh
  • 1878 Bayerischer Maximiliansorden für Wissenschaft und Kunst
  • 1884 Inhaber der Copley Medal der Royal Society London
  • 1889 Commandeur I. Klasse des Königlich schwedischen Nordsternordens
  • 1890 Ehrenbürger der Stadt Leipzig (anlässlich der Feier zum 50-jährigen Doktor-Jubiläum)

1882 wurde Ludwig in die American Academy of Arts and Sciences gewählt, 1893 in die National Academy of Sciences. Zusätzlich war er Mitglied der Akademien der Wissenschaften in Berlin, Wien, München, Leipzig, Paris, St. Petersburg, Rom, Turin, Stockholm, Uppsala et cetera.

Seit 1932 wird die Carl-Ludwig-Ehrenmedaille der Deutschen Gesellschaft für Kardiologie für langjährige herausragende Arbeiten auf dem Gebiet der Herz- und Kreislaufforschung verliehen. Nach ihm ist das Carl-Ludwig-Institut für Physiologie der Universität Leipzig benannt. 1973 wurde der Mondkrater Ludwig nach ihm benannt.